… was nicht heißten soll, dass die Leisen nicht cool sein können…
Ich sitze in einem Coaching.
Oder besser: Ich befinde mich bei der Veranstaltung eines selbsternannenten Coaches.
So richtig wohl fühle ich mich nicht.
Mir ist es hier zu voll. Mir ist es hier zu laut. Mir ist es hier zu bunt.
Naja, ich habe es ja nicht anders gewollt.
Der Mann auf der Bühne schreit. Die Massen gröhlen. Die Musik ist viel zu bumbum.
Und es kommt, wie es kommen muss:
Der laute Mann in dem schicken Anzug mit den gegelten Haaren zeigt auf mich und bittet – oder besser schreit mich nach Vorne.
„Wie ist Dein Name?“
„Wolli“
Ich spüre die Blicke der gröhlenden Masse im Rücken und bin überraschend entspannt. Behutsam, aber mit Nachdruck, dreht mich der Mann zum Publikum.
„Wolli, was ist Deine größte Schwäche?“, schreit er.
„Ach herrje…“, sage ich um ein wenig Zeit zu schinden.
„Deine größte Angst…“
„Was meinen Sie? Meine größte Schwäche oder meine größte Angst?“ rufe ich und benühe mich vergebens seine simmtliche Lautstärke zu erreichen.
„Deine größte Ängst ist Deine größte Schwäche“
Ein erstauntes „Ach was!“ rutscht mir raus, und ich muss mal wieder innerlich grinsen bei dem Gedanken an Loriot.
„Nun gut. Ich habe Höhenangst. Richtig üble Höhenangst.“, sage ich.
„Und weiß Du was? Wolli, wir beide gehen zusammen Bungee Jumping, und ich verspreche Dir, Deine Höhenangst löst sich in Luft auf.“
Kurz denke ich „Was das wohl wieder kosten wird“, äußere aber ein überzeugtes „Auf gar keinen Fall!“ und lache gequält.
„Du must raus aus Deiner Komfortzone. Du musst Dich Deinen Ängsten stellen.“
Und wieder: „Ach was!“
„Ja, trete Deinen Ängsten in den Arsch.“
„In den … was?“
„Du hast mich schon verstanden!“
„Warum sollte ich das tun?“
Der Mann lacht… viel zu laut… „Damit Du Deine Ziele erreichst.“
„Äh, sorry… aber Sie kennen doch meine Ziele gar nicht.!
„Du wirst Deine Ziele nicht erreichen, wenn Du nicht aus Deiner Komfortzone raus kommst und Dich Deinen Ängsten stellst.“
Ich denke kurz darüber nach, wie es sich wohl anfühlt, 50 Meter in die Höhe zu klettern und mich dann runterfallen zu lassen, und ich merke, dass sich Schweißperlen auf meiner Stirn bilden und sich eine Art schleichende Panik in mir bildet.
„Und?“, schreit der Typ ins Publikum.
„Ich denke, ich bleibe bei meinem – Auf gar keinen Fall – „
Irgendwie wir der Mann jetzt ein wenig ungeduldig mit mir. Vielleicht habe ich ihn auch aus dem Konzept gebracht. Er wird ein wenig nervös, irgendwie hibbelig… und er wird etwas lauter.
„Du musst…“
Ach egal, ich greife mir einfach mal sein Mikrofon.
„Ich würde es einmal so formulieren. Ich muss erstmal gar nix. Ich habe dazu einfach keine Lust…“
„Aber, Du willst doch…“
„Außerdem verstehe ich nicht, wie mich so ein Sprung aus 50 Metern Höhe meinem Ziel, dass wir überigens immer noch nicht einhellig definiert haben, näher bringen soll. Ich wollte mir wohl eher Gedanken darüber machen, welche Stärken ich habe, die ich einsetzen kann. Und an welchen Schwächen ich vielleicht arbeiten könnte.“
„Du könntest…“
„Ja ich weiß. Ich könnte Fotos davon machen lassen und sie bei Instagram reinsetzen. Ganz nach dem Motto: Für seinen Erfolg musste er erst einmal ganz tief fallen…“
Der Mann sagt nix – er seufzt nur.
„Ja genau. Tief durch die Nase einatmen und höhrbar durch den Mund ausatmen. Das entspannt und löst die Verkrampfungen.
Der Mann schaut verzweifelt ins Publikum, schaut mich an und hat anscheinend begriffen, dass ich ein „hoffnungsloser Fall“ bin bzw. irgendwie nicht in sein Beuteschema passe.
Jetzt holt er seinen letzten Trumpf raus. Er schreit ins Publikum: „Was meint Ihr?“
Die Menge gröhlt und schreit: „Springen! Springen! Springen! „.
Ich kann gar nicht genau sagen, warum. Aber in diesem Moment bekomme ich einen unglaublich befreienden Lachflash.
“ Okay. Okay. Okay. Ich denke, ich möchte eher daran arbeiten, dass meine Werte gefestigt werden. Dass ich empathisch und wertschätzend bleibe. Menschen ein gutes Gefühl gebe – Menschen unterstütze. Ihr wisst schon. All diese langweiligen Sachen eben. Ihr könnt gerne springen, wenn ihr Spaß daran habt. Ich schau mir dann auch die Fotos auf Inster an.“
Der Mann schaut mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tasse im Schrank.
„Ach so. Vielleicht noch ein kleiner Tipp von mir: Manchmal ist weniger mehr. Ein bischen weniger laut, ein bischen weniger bunt, ein bischen weniger Gel – das würde vielleicht ein bisschen authentischer wirken. Beim Coaching sollten die Teilnehmenden im Vordergrund stehen – nicht der Coach. Sorry, meine Meinung! Muss aber jeder selbst wissen. Ich weiß, krass langweilig, ne? Aber irgendwie auch cool!“
Liebe Grüße
Euer Wolli